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Kirchengericht:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:18.08.2005
Aktenzeichen:1 KG 25/2005
Rechtsgrundlage:MVG-EKD:
§ 41 Abs. 2
§ 42 lit. b)
KSchG:
§ 1 Abs. 2 Satz 1
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:
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Leitsatz:


Beabsichtigte ordentliche - betriebsbedingte - Kündigung aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eines kirchlichen Internats
Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, bedingt ist. Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt und eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen gleichwertigen, freien Arbeitsplatz nicht möglich ist.
Jeder betriebsbedingten Kündigung liegt eine unternehmerische Entscheidung zugrunde, mit welcher der Arbeitgeber auf eine bestimmte inner- oder außerbetriebliche Ursache reagiert. Aufgrund einer Analyse der Lage des Unternehmens erfolgen unternehmerische Zielsetzungen und Planungen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet, die zu konkreten unternehmerischen Entscheidungen führen. Solche Entscheidungen können z. B. die Zusammenlegung von Abteilungen, die Stilllegung des Betriebes oder eines Betriebsteiles sein.
Die unternehmerische Entscheidung im vorgenannten Sinn unterliegt nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle, nämlich nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.

Tenor:

Es wird gemäß § 60 Abs. 5 Satz 1 MVG-EKD festgestellt, dass die Mitarbeitervertretung des Internats X nicht berechtigt ist, die zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung der im Internat X beschäftigten MitarbeiterInnen lt. Antrag des DHW D zum 31.07.2006 gem. § 42 lit. b) MVG-EKD erforderliche Zustimmung gem. § 41 Abs. 2 MVG-EKD zu verweigern.

Gründe:


I.

Der Antragsteller ist Träger des Internats X. Dieses Internat bietet Leistungen für die Bereiche Voll- und Teilstationäre Schulkindbetreuung (mit kalkulierten 47 bzw. sechs Plätzen) sowie für die voll- und teilstationäre Frühförderung (mit 16 bzw. 10 Plätzen) sowie ein Frühförderkurssystem (mit 1,25 Plätzen) an.
Im Bereich der stationären Schulkindbetreuung werden die Kinder betreut, die die staatliche Internatsschule in Y besuchen, aber aus Kapazitätsgründen nicht im dortigen schuleigenen Internat untergebracht werden können. In der teilstationären Schulkindbetreuung werden alle teilstationären Schulkinder, die in zumutbarer Entfernung zur Schule wohnen, betreut.
In der stationären Frühförderung werden bis zu 16 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren aufgenommen, in der teilstationären Frühförderung bis zu 10 Kinder der gleichen Altersgruppe, die in zumutbarer Entfernung zur Einrichtung wohnen.
Ein wirtschaftlicher Betrieb des Internats X ist aus der Sicht der Geschäftsleitung des Diakonie-Hilfswerkes D nur dann möglich, wenn alle genannten Bereiche annähernd ausgelastet sind bzw. Veränderungen gegenseitig kompensiert werden können.
Bedingt durch frei gewordene Kapazitäten im (staatlichen) Internat der Schule Y sank die Auslastung in der stationären Schulkindbetreuung im Internat X im Schuljahr 2004/2005 auf 27 Plätze und wird im Schuljahr 2005/2006 nur noch 20 Plätze betragen, ohne dass eine entsprechende Steigerung in den anderen Leistungsbereichen des Internats X möglich sein wird.
Das Sozialministerium des Landes L hat gegenüber der Geschäftsleitung des Diakonie-Hilfswerks D erklärt, dass ab dem Schuljahr 2006/2007 die Kapazitäten der staatlichen Internatsschule Y für die Betreuung aller Schulkinder ausreichen werden, so dass eine Belegung für das Internat X nicht mehr notwendig sei.
Darüber hinaus haben die politischen Entscheidungsträger des Landes L beschlossen, dass zukünftig die Schwerpunkte bei Integrationsmaßnahmen gesetzt und stationäre Plätze abgebaut werden sollen. Im Bereich der Frühförderung sollen die Kosten für entsprechende Maßnahmen zukünftig ausschließlich von den regionalen Leistungsträgern getragen werden.
Die Geschäftsleitung des Diakonie-Hilfswerkes D hat im Hinblick auf die vorgenannten Umstände beschlossen, das Internat X zum 31.07.2006 zu schließen und allen dort beschäftigten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen - mit Ausnahme derjenigen, die gem. § 53 Abs. 3 KAT-NEK tarifrechtlich ordenlich nicht kündbar sind - zum 31.07.2006 ordentlich zu kündigen, und zwar unter Beachtung der für schwerbehinderte Mitarbeiter und in Mutterschutz oder Elternteilzeit sich befindende Mitarbeiterinnen einschlägigen Vorschriften. Daneben werde die Bundesagentur für Arbeit unterrichtet werden (Anzeige wegen Massenentlassung).
Hierfür waren im Wesentlichen folgende Erwägungen maßgeblich:
Eine Refinanzierung der vom Internat X erbrachten Leistungen werde ab August 2005 nicht mehr möglich sein, so dass das Betriebsergebnis voraussichtlich im negativen Bereich liegen werde; in diesem Jahr liege das prognostizierte Betriebsergebnis im sechsstelligen negativen Bereich.
Im Hinblick auf die Verantwortung gegenüber Betreuten, Eltern und Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen habe man sich für eine Schließung des Internats X im Sommer 2006 (zum 31.07.2006) entschieden.
Die vorgenannten Gründe wurden von der Geschäftsleitung in mehreren Gesprächen mit der Mitarbeitervertretung erörtert.
Mit Schreiben vom 24.06.2006 hat die Mitarbeitervertretung den in Rede stehenden beabsichtigten Kündigungen nicht zugestimmt, da ihrer Meinung nach keine Sozialauswahl getroffen worden sei; in die Auswahlentscheidung müssten sämtliche Arbeitsplätze im Diakonie-Hilfswerk D einbezogen werden.
Mit Antragsschrift vom 07.07.2005 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag gestellt.
Das Kirchengericht hat über den Antrag am 18.08.2005 verhandelt. Dabei hat der Antragsteller unwidersprochen erklärt, dass es im Gesamtbereich des Diakonie-Hilfswerks D kein weiteres Internat gebe, das dieselben Aufgaben wahrnehme wie das Internat X.

II.

Das Kirchengericht ist der Auffassung, dass die beabsichtigte ordentliche - betriebsbedingte - Kündigung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Internat X gem. der Liste zum Schreiben des Antragstellers an die Mitarbeitervertretung vom 13.06.2005 nicht gegen eine Rechtsvorschrift, insbesondere § 1 Absätze 2 und 3 KSchG verstößt, so dass der Mitarbeitervertretung des Internats X kein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 41 Abs. 2 MVG-EKD zusteht.
Hierfür sind die nachfolgenden Erwägungen maßgeblich.
1. Die beabsichtigte ordentliche - betriebsbedingte - Kündigung des Arbeitsverhältnisses der betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist nach Auffassung des Kirchengerichts sozial gerechtfertigt.
a) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, bedingt ist.
Grundlage der betriebsbedingten Kündigung sind betriebsbezogene Umstände oder Vorgänge, die von der Person des betroffenen Arbeitnehmers unabhängig sind. Aufgrund einer „freien unternehmerischen Entscheidung“ entfällt der Beschäftigungsbedarf für einen oder mehrere Arbeitnehmer in dem bisher wahrgenommenen Aufgabenbereich. Das allein rechtfertigt jedoch noch nicht eine Kündigung, vielmehr muss hinzukommen, dass der betroffene Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann. Nur unter dieser weiteren Voraussetzung kann eine Kündigung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sein (in diesem Sinne: v.Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 13. Aufl. 2002, § 1 Rn. 364a).
Jeder betriebsbedingten Kündigung liegt eine unternehmerische Entscheidung zugrunde, mit welcher der Arbeitgeber auf eine bestimmte inner- oder außerbetriebliche Ursache reagiert (vgl. Preis, in Stahlhacke/ Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 8. Aufl. 2002, Rn. 940). Aufgrund einer Analyse der Lage des Unternehmens erfolgen unternehmerische Zielsetzungen und Planungen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet, die zu konkreten unternehmerischen Entscheidungen führen. Solche Entscheidungen können z. B. die Zusammenlegung von Abteilungen, die Stillegung des Betriebes oder eines Betriebsteiles sein (vgl. v.Hoyningen-Huene/Linck a.a.O. Rn. 366, 367 m.w.N.). Die Umsetzung der unternehmerischen Entscheidung muss den Beschäftigungsbedarf grundsätzlich auf Dauer entfallen lassen (s. v.Hoyningen-Huene/Linck a.a.O. Rn. 367a; Preis a.a.O. Rn. 971).
Die unternehmerische Entscheidung im vorgenannten Sinn unterliegt nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle, nämlich nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (in diesem Sinne: v.Hoyningen-Huene/Linck a.a.O. Rn. 371; KR-Etzel, 7. Aufl. 2004, § 1 KSchG Rn. 522; Mayer, in Backmeister/Trittin/Mayer, KSchG, 3. Aufl. 2004, § 1 Rn. 313; Preis a.a.O. Rn. 948 jeweils m.w.N.).
Eine Betriebs- oder Teilbetriebsstillegung ist eine unternehmerische Entscheidung, die eine betriebsbedingte Kündigung regelmäßig rechtfertigt (ebenso: Preis a.a.O. Rn. 971; v.Hoyningen-Huene/Linck a.a.O. Rn. 414; KR-Etzel a.a.O. Rn. 579 jeweils m.w.N.).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die Entscheidung des Antragstellers, das Internat X zum 31.07.2006 zu schließen, keinen durchgreifenden kündigungsschutzrechtlichen Bedenken:
Der Antragsteller hat ausführlich dargelegt, aufgrund welcher personeller und sonstiger Veränderungen im Bereich der staatlichen Internatsschule Y und damit zusammenhängender finanzieller Auswirkungen wegen der geänderten staatlichen Richtlinien für die Betreuung und Förderung von Schulkindern im Land L, die sich bereits ab dem Schuljahr 2005/2006 auswirken, ab dem Schuljahr 2006/2007, d. h. ab 01.08.2006, ein wirtschaftlicher Betrieb des (kirchlichen) Internats X nicht mehr möglich sein wird. Die Vertreter der Mitarbeitervertretung haben dieser Darstellung nicht widersprochen; sie wird von ihnen als zutreffend angesehen.
Bei dieser Sachlage ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, das Internat X mit Wirkung zum 31.07.2006 vollständig zu schließen, grundsätzlich vom Kirchengericht zu respektieren. Vorliegend fehlt jeglicher Anhalt dafür, dass es sich um eine willkürliche Entscheidung handeln könnte. Die Mitarbeitervertretung erhebt insoweit ebenfalls keine Bedenken.
c) Aufgrund dieser rechtlich nicht zu beanstandenden Entscheidung des Antragstellers ist die beabsichtigte ordentliche Kündigung der betroffenen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wegen dringlicher betrieblicher Erfordernisse kündigungsschutzrechtlich zulässig. Eine Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 KSchG war vorliegend nicht zu treffen, da keine anderen gleichwertigen Arbeitsplätze für sie zur Verfügung stehen (s. allgemein zu diesem Gesichtspunkt: KR-Etzel a.a.O. Rn. 614 ff., <insbes. 617, 618>; Preis, in Stahlhacke/Preis/Vossen a.a.O. Rn. 1047 ff. <insbes. 1052, 1054>; Mayer a.a.O. Rn. 366 bis 369>).
Die Vertreter der Dienststellenleitung haben nämlich in der mündlichen Verhandlung auf entsprechende Nachfrage des Gerichts erklärt, dass es im gesamten Bereich des Diakonie-Hilfswerkes D keine weitere Einrichtung mit denselben Aufgaben wie das Internat X gibt. Dem haben die Vertreter der Mitarbeitervertretung nicht widersprochen. Es fehlt somit an vergleichbaren Arbeitsplätzen.

III.

Der Beschluss ist für die Beteiligten gem. § 60 Abs. 8 Satz 1 MVG-EKD verbindlich.
gez. Kalitzky
(Vorsitzender Richter)