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Kirchengericht:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:18.03.2008
Aktenzeichen:3 KG 50/2007
Rechtsgrundlage:MVG-EKD:
§ 38 Abs. 4
§ 41 Abs. 2
§ 42 lit. b
§ 60 Abs. 5
KSchG:
§ 1 Abs. 2
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:
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Leitsatz:


Beabsichtigte verhaltensbedingte Kündigung einer Kindertagesstättenleiterin
Wenn eine Dienststellenleitung eine offensichtlich überforderte Mitarbeiterin mit Leitungsaufgaben betraut, so ist sie gehalten, sehr eng an der Tagesarbeit der Leitung der Kindertageseinrichtung zu kontrollieren, ob die Mitarbeiterin die ihr obliegenden Aufgaben auch ordnungsgemäß erfüllt. Werden sie es nicht, so hat die Dienststellenleitung alle Hilfestellungen anzubieten, um zu erreichen, dass die beanstandeten Fehler zukünftig vermieden werden. Sollte gleichwohl keine Besserung eintreten, ist die Mitarbeiterin abzumahnen. Erst danach kann nach dem dem Kündigungsrecht innewohnenden Ultima-Ratio-Prinzip eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein

Tenor:

Der Antrag, die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur fristgerechten Kündigung von Frau M zu ersetzen, wird zurückgewiesen.

Gründe:


I.

1. Der evangelische Kindertageseinrichtungsverbund des Kirchenkreises K und die Kirchengemeinde G beabsichtigen, das seit dem XY. August 2006 bestehende Arbeitsverhältnis mit Frau M fristgerecht zu kündigen.
Bei der Mitarbeitervertretung des Kirchenkreises K ist am 11. Oktober 2007 die Zustimmung zur Kündigung beantragt worden. Die Mitarbeitervertretung hat mit Datum vom 23. Oktober 2007 die erbetene Zustimmung verweigert.
Frau M ist mit Arbeitsvertrag vom XY. Mai 2006 mit Wirkung zum XY. August 2006 als Erzieherin mit den Aufgaben der Kindergartenleitung und der pädagogischen Arbeit in einer Gruppe durch die Kirchengemeinde G eingestellt worden. Seit Juli 2007 ist sie dienstunfähig krankgeschrieben. Im Verlauf des Sommers bis in den Oktober 2007 hinein haben sich bei den Antragstellern zahlreiche Einzelvorgänge im Kindergarten G ereignet, aus denen sich nach Meinung der Antragsteller das Bild ergibt, dass auf Seiten von Frau M so schwerwiegende fachliche und organisatorische Mängel in der Leitung des Kindergartens begangen worden sind, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses schlechterdings unmöglich geworden ist.
Im Einzelnen tragen die Antragsteller folgenden Sachverhalt vor:
Frau M habe im April 2007 aufgrund von gehäuften Nachfragen von Eltern den Wunsch geäußert, im Kindergarten ab August 2007 eine sog. Familiengruppe einzurichten, was bedeute, dass in einer Kindergartengruppe neben Kindern zwischen 3 und 6 Jahren auch einige, max. 5 Kinder unter 3 Jahren, aufgenommen und betreut werden. Für die Gruppenzusammensetzung gehe man davon aus, dass – ausgehend von einer Regelgruppengröße von 20 Kindern – für jedes Kind unter 3 Jahren die Regelzahl um 2 Plätze verringert wird. Auch der Personalschlüssel ändere sich. Während eine Regelgruppe mit 1,5 pädagogischen Kräften zu besetzen sei, seien einer Familiengruppe 2,0 pädagogische Fachkräfte zugeordnet.
Frau M sei beauftragt worden, den Bedarf an Betreuungsplätzen für unter 3-Jährige und die daraus resultierenden Erfordernisse für die Zusammensetzung der Gruppe aus den Anmeldezahlen zu ermitteln. Damit habe geklärt werden sollen, ob zum einen ausreichend Bedarf bzw. tatsächliche Nachfrage von Eltern für die Einrichtung einer Gruppe besteht und ob zum anderen auch bei einer interessengerechten Umwandlung von Betreuungsplätzen durch die Einrichtung einer Familiengruppe alle in der Einrichtung angemeldeten Kinder zwischen 3 und 6 Jahren entsprechend ihrem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz tatsächlich einen solchen Platz erhalten werden. Frau M habe daraufhin dem Träger und dem Kindergartenausschuss Listen erstellt und vorgelegt, die die Bedarfssituation aufzeigen sollten. Vor dem Hintergrund dieser von Frau M vorgelegten Zahlen sei am 14. Juni 2007 im Kindergartenausschuss beschlossen worden, eine Regelgruppe mit max. 25 Kindern in eine Familiengruppe umzuwandeln.
Frau M habe dann am 2. Juli 2007 ihren Urlaub angetreten. In dieser Zeit der urlaubsbedingten Abwesenheit seien im Kindergarten G gehäuft Beschwerden von Eltern über das völlig undurchsichtige Verfahren zur Aufnahme von Kindern in die Einrichtung eingegangen. Die stellvertretende Kindergartenleiterin sei zur Klärung des Sachverhalts von der Leitung des Kindergarteneinrichtungsverbundes beauftragt worden, gemeinsam mit der Fachberaterin, Frau X, die in der Einrichtung befindlichen Unterlagen über das Anmelde- und Aufnahmeverfahren zu sichten und den Beschwerden nachzugehen. Diese Sichtung der Unterlagen sei am 9. Juli 2007 und 11. Juli 2007 erfolgt und habe folgendes Bild ergeben:
Es habe im Kindergarten weder bei den von Frau M geführten Unterlagen noch an anderer Stelle schriftliche Aufzeichnungen gegeben, für welche Kinder Frau M eine Zusage für einen Kindergartenplatz erteilt hatte und für welche nicht;
Frau M habe verschiedenen Eltern mündliche Zusagen über einen Kindergartenplatz gegeben, die wegen fehlender Betreuungsplätze in der Einrichtung nicht eingehalten werden konnten. 8 Kinder über 3 Jahre – also Kinder mit Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz – hätten keinen Platz erhalten, da die Einrichtung voll ausgelastet gewesen sei. Frau M habe damit die ihr obliegende Aufgabe, den Bedarf an Plätzen für Kinder mit einem Rechtsanspruch auf einen Kindergarten zu überwachen und die Belegung der Plätze zu steuern, grob missachtet.
Frau M habe das Prinzip einer Familiengruppe, das jedem im Bereich von Kindergartenbeschäftigten und insbesondere einer Kindergartenleiterin bekannt sei oder bekannt sein müsse, grob missachtet. Sie habe bereits vor ihrem Urlaubsantritt die maximal zulässige Zahl von Plätzen für Kinder unter 3 Jahren, nämlich 5, fest vergeben und darüber hinaus mindestens 9 Eltern mit Kindern unter 3 Jahren einen Kindergartenplatz mündlich fest zugesagt. Frau M habe bei Erteilung dieser Zusage gewusst, dass sie über die 5 bereits vergebenen Plätze hinaus die weiteren 9 abgegebenen Zusagen nicht würde einhalten können.
Es habe kein System und kein geordnetes und dokumentiertes Anmeldeverfahren zur Verteilung der in der Familiengruppe vorhandenen begrenzten Anzahl von Plätzen an Kinder unter 3 Jahren gegeben. Dies habe dazu geführt, dass zwar in der Öffentlichkeit eine Familiengruppe mit Plätzen für Kinder unter 3 Jahren angekündigt, tatsächlich aber für die Eltern nicht überschau- und nachvollziehbar deutlich wurde, welche Kinder aus welchen Gründen einen entsprechenden Platz erhalten sollten.
Im Zuge der Sichtung der Unterlagen und der Führung von weitergehenden Elterngesprächen habe sich herausgestellt, dass schon zum Zeitpunkt der Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Einrichtung der Familiengruppe für sämtliche für Kinder unter 3 Jahren zur Verfügung stehende Plätze feste Zusagen von Frau M gegeben worden waren, so dass sogar keine weiteren Kinder unter 3 Jahren mehr aufgenommen werden konnten.
Die Antragsteller tragen weiter vor, für jeden Kindergarten sei ein strukturiertes und organisiertes Aufnahmeverfahren zur Belegung der Kindergartenplätze einer der zentralen Punkte für den Erfolg der Einrichtung. Eltern mit Kindern im Kindergartenalter brauchten Planungssicherheit, um ihre eigene Berufstätigkeit auf zugesagte oder verweigerte Betreuungsplätze bezogen einrichten zu können, darum sei ein strukturiertes, transparentes und gut dokumentiertes Aufnahmeverfahren einer der sensibelsten Punkte für die Außendarstellung und –wirkung eines Kindergartens. Deshalb liege die Zuständigkeit für die Aufnahme von Kindern in einer Kindertageseinrichtung ausschließlich und uneingeschränkt bei der Leitung, die an diesem Punkt quasi Geschäftsführungskompetenz habe. Dies sei auch in der Frau M am 20. Dezember 2006 ausgehändigten und von ihr akzeptierend unterschriebenen Stellenbeschreibung entsprechend beschrieben.
Störungen im Aufnahmeverfahren führten in der Regel sehr schnell zur Verärgerung von Eltern und Kindern im Kindergartenalter und zur Abwanderung zu anderen Einrichtungen, was der Kindertageseinrichtungsverbund als Träger der Einrichtung auch hier habe feststellen müssen. Ein weiterer konkreter Fall sei Ende Oktober bekannt geworden: Frau M habe einer Mutter, Frau Y, im Frühjahr 2007 mündlich die Zusage gemacht, für ihre Tochter T, geboren im Februar 2006, ab Anfang 2008 einen Kindergartenplatz zur Verfügung zu stellen. Frau M habe der Mutter im Gespräch Anmeldeformulare mitgegeben und erklärt, eine rasche Rückgabe der Unterlagen sei nicht erforderlich. Im Hinblick auf die mündlich erteilte Zusage eines Betreuungsplatzes habe Frau Y nunmehr eine Arbeitsstelle angenommen. Tatsächlich könne nun aber für die Tochter T ein Kindergartenplatz nicht zur Verfügung gestellt werden, weil der Kindergarten voll belegt sei und es an den notwendigen Kapazitäten fehle. Die Tochter T habe vom Kindergarten G nicht eingeplant werden können, da es keine von Frau M gefertigte Aufzeichnung über das Gespräch und die gemachte Aufnahmezusage gebe. Frau Y sei mit Recht entrüstet und erbost. Weitere ähnlich gelagerte Fälle seien von den Eltern vorgetragen worden.
Neben diesem Schaden, der durch einen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit entstanden sei, sei durch die grob pflichtwidrige Vorgehensweise von Frau M auch ein finanzieller Schaden entstanden. Da zahlreiche Kinder mit einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, mithin also Kinder im Alter von über 3 Jahren, keinen Kindergartenplatz bekommen konnten, sich zudem auch verschiedene Eltern von Kindern unter 3 Jahren, denen von Frau M eine feste Zusage für einen Kindergartenplatz erteilt worden war, darauf beruflich eingerichtet hatten, habe in dem Kindergarten eine Notgruppe eingerichtet werden müssen. In der Zeit ab 1. Januar 2008 hätten in dieser Notgruppe 6 Kinder mit einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz und 2 Kinder im Alter von unter 3 Jahren zusätzlich einen Platz gefunden. Um diese Notgruppe besetzen zu können, hätten also weitere Erziehungskräfte bezahlt werden und die dazu notwendigen Geldmittel von den, den Kindergarten finanzierenden, 3 Gemeinden aufgebracht werden müssen, obgleich bislang dafür Mittel nicht in den jeweiligen Gemeindehaushalten eingestellt gewesen seien. Die Notwendigkeit der Nachfinanzierung führe zu einer Vertrauensminderung der Kirchengemeinde G bei den finanzierenden Gemeinden. Frau M habe ein vereinbartes Gespräch abgesagt und sei in den Urlaub gefahren, ohne sich um die Angelegenheit weiter zu kümmern; seither sei sie dienstunfähig krankgeschrieben.
Die Mitarbeitervertretung des Kirchenkreises K hat die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung von Frau M verweigert.
Die Antragstellerin beantragt,
die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur fristgerechten Kündigung von Frau M zu ersetzen.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Mitarbeitervertretung trägt vor, Probleme seien bereits während der Probezeit sichtbar geworden; die Anregung einer Mediation vom 12. Juli 2007 sei nicht aufgenommen worden. Im Übrigen vermisse die Mitarbeitervertretung eine Abmahnung geschweige denn eine Ermahnung von Frau M.

II.

Der Antrag des Antragstellers war zurückzuweisen.
Die Mitarbeitervertretung hat ihre Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung zu Recht verweigert.
Eine Kündigung der Frau M wäre nämlich gem. § 1 Abs. 2 KSchG unwirksam.
Nach § 1 Abs. 1 KSchG ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis im selben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als 6 Monate bestanden hat rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift ist eine Kündigung dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.
Nach dem dem Kündigungsrecht innewohnenden Ultima-Ratio-Prinzip hätte der Frau M bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zunächst eine Abmahnung erteilt werden müssen, was unstreitig nicht geschehen ist.
Die Antragsteller können nicht damit gehört werden, dass Frau M mit ihrem gesamten Verhalten gezeigt hat, dass sie für die Wahrnehmung ihrer Leiteraufgaben gänzlich ungeeignet ist. Die Antragsteller hätten vielmehr, nach Auffassung der Kammer, ihrer Leiterin alle Hilfestellungen anbieten müssen um zu erreichen, dass die beanstandeten Fehler vermieden werden.
Wenn die Antragsteller offensichtlich eine überforderte Person mit Leitungsaufgaben betrauen, so sind sie gehalten, sehr eng an der Tagesarbeit der Leitung der Kindertageseinrichtung zu kontrollieren, ob die Aufgaben auch ordnungsgemäß erfüllt werden. Werden sie es nicht, so sind Hilfestellungen anzubieten in Form von Schulungen oder Supervisionen. Selbst wenn dann die Aufgaben noch nicht zur Zufriedenheit der Antragsteller erfüllt werden können, ist zumindest mit der Arbeitnehmerin ein Zeitrahmen festzusetzen, innerhalb dessen die Aufgaben nach Meinung der Antragsteller beanstandungsfrei erfüllt werden. Erst danach kann eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt sein.
Wenn die Mitarbeitervertretung bereits im Anhörungsverfahren die fehlende Abmahnung moniert hat, so kann sich die Kammer dem letztlich nur anschließen.
Es war nach allem wie geschehen zu entscheiden.
gez. Faust
(Vorsitzender Richter)