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Kirchengericht:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:23.06.2011
Aktenzeichen:3 KG 19/2010
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 2, § 41, § 42 Buchstabe a, § 60 Absatz 1, § 60 Absatz 5, SGB II § 16d
Vorinstanzen:nachfolgend: Kirchengerichtshof der EKD: KGH.EKD I-0124/T27-11
Schlagworte:
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Leitsatz:

  • Die Mitarbeitervertretung hat ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht bei der Einstellung (Beschäftigung) einer Ein-Euro-Kraft gem. § 42 Buchstabe a MVG.EKD.
  • Das Kirchengericht, Kammer 3, schließt sich nunmehr insoweit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerwG zum inhaltsgleichen Begriff der Einstellung im Personalvertretungsrecht (u. a. Beschl. v. 21. März 2007 – 6 P 4.06 – PersR 2007, 301) und des BAG zum inhaltsgleichen Begriff im Betriebsverfassungsrecht (u. a. Beschl. v. 3. Mai 2007 – 42/2006 und 43/2006) an.
  • Danach bedarf es nicht des Abschlusses eines Arbeitsvertrags zwischen der sog. Ein-Euro-Kraft (§ 16d SGB II) und der jeweiligen Dienststelle. Entscheidend ist vielmehr, dass die Ein-Euro-Jobber in den Dienstbetrieb in gleicher Weise wie die dortigen Arbeitnehmer eingegliedert und dem Weisungsrecht des Dienststellenleiters unterliegen würden. Hiervon ist im Regelfall auszugehen.

Tenor:

1. Der Antragsgegner ist verpflichtet, vor der Einstellung von sog. Ein-Euro-Kräften in Dienststellenteilen, die dem ehemaligen Kirchenkreis K1 zugeordnet waren, bei der Antragstellerin das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 42 lit. a, 41 MVG.EKD durchzuführen.
2. Diese Entscheidung ergeht gerichtskosten- und auslagenfrei.

Gründe:

1.

Die Antragstellerin ist Rechtsnachfolgerin der Mitarbeitervertretung des vormaligen Kirchenkreises K1. Der Antragsgegner ist Rechtsnachfolger dieses Kirchenkreises. Die Beteiligten haben für die Dienststellen im Bereich des vormaligen Kirchenkreises K1 die kirchengerichtlichen Verfahren 16/2007, 17/2007 und 18/2007 auf Vorschlag des Kirchengerichts vom 4. Juli 2007 den als Anlage AG 1 vorgelegten Vergleichsvorschlag angenommen.
Das Vergleichsangebot des Rechtsvorgängers des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 10. Juli 2007 hat die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 12. Juli 2007 angenommen. In allen drei Verfahren ist dann unter dem 20. Juli 2007 der als Anlage AG 4 vorgelegte Beschluss ergangen, wonach die Verfahren eingestellt worden sind, nachdem die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin die Anträge mit Schriftsatz vom 12. Juli 2007 zurückgenommen hat.
Seit dem Vergleichsabschluss wendeten die Beteiligten das vorgesehene Verfahren an.
Nach der Fusion der Kirchenkreise K1, K2 und K3 hat sich der Antragsgegner lediglich bereit erklärt, dieses Verfahren für die im Bereich des vormaligen Kirchenkreises K1 liegenden Einrichtungen zugrunde zu legen.
Er ist der Meinung, die Antragstellerin sei als Rechtsnachfolgerin der Mitarbeitervertretung des Kirchenkreises K1 ebenso an den seinerzeit geschlossenen Vergleich gebunden wie der Antragsgegner als Rechtsnachfolger des Kirchenkreises K1.
Auf die eingehenden rechtlichen Erörterungen wird hingewiesen.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist der Antragsgegner der Meinung, die Beschäftigung von Ein-Euro-Kräften unterliege nicht der eingeschränkten Mitbestimmung. Er meint, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts könnte naturgemäß nicht für die kirchlichen Rechtsquellen Geltung haben. Die Rechtsprechung sei auf das kirchliche Mitarbeitervertretungsrecht nicht übertragbar. Auf die weiteren eingehenden Erörterungen des Antragsgegners wird ergänzend verwiesen.
Die Antragstellerin ist der Meinung, der abgeschlossene Vergleich stelle eine kündbare Dienstvereinbarung dar. Eine andere Form der Vereinbarung als die einer Dienstvereinbarung sei rechtlich nicht vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellt. Da tatsächlich diese per Vergleich zustande gekommene Dienstvereinbarung durch weitere Dienstvereinbarung vom 12. November 2007 (Anlage AST 4) beendet worden sei, sei auch die hier im Streit befindliche vergleichsweise Regelung beendet. Ein anderes Ergebnis könne schon deshalb nicht angenommen werden, da im Zweifel die Dienstvereinbarung ohnehin formnichtig sei, da es ihr an der notwendigen Einhaltung der Schriftform mangele.
Die Antragstellerin trägt weiter ihre Rechtsmeinung vor, nach der die Einstellung von sog. Ein-Euro-Kräften der eingeschränkten Mitbestimmung unterliegt. Sie verweist insoweit auf den umfassend zusammengestellten Meinungsstand durch den Vorsitzenden im vorausgegangenen kirchengerichtlichen Verfahren (Protokoll der Güteverhandlung vom 22. Juni 2010; Anlage AST 5).
Die Antragstellerin beantragt,
festzustellen, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, vor der Einstellung von sog. Ein-Euro-Kräften in Dienststellenteilen, die dem ehemaligen Kirchenkreis K1 zugeordnet waren, bei der Antragstellerin das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 42 lit. a, 41 MVG.EKD durchzuführen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

2.

Der Antrag ist zulässig sowie begründet.
Das Feststellungsinteresse ergibt sich schon daraus, dass die Beteiligten sich uneinig sind, ob der Vergleich nach wie vor bindende Wirkung hat oder nicht. Die Antragstellerin ist der Meinung, es bestehe ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht bei Einstellung von Ein-Euro-Kräften, die Antragsgegnerin pocht auf der Einhaltung des seinerzeit geschlossenen Vergleichs und nimmt ansonsten an, es bestehe kein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht.
Die Antragstellerin hat deshalb ein rechtliches Interesse an der Klärung des hier bestrittenen Rechts.
Zunächst ist sich die Kammer darüber einig, dass der mit Vergleichsvorschlag vom 4. Juli 2007 seinerzeit von beiden Seiten angenommene Vergleichsvorschlag (Anlage AST 1) durch die Dienstvereinbarung vom 12. November 2007 (Anlage AST 4) beendet wurde. Man kann darüber streiten, ob in dem zustande gekommenen Vergleich eine Dienstvereinbarung abgeschlossen wurde oder nicht. Zweifelsohne ist jedenfalls die Schriftform nicht eingehalten worden. Die Beteiligten missachten jedoch die Tatsache, dass es nach einhellig herrschender Meinung neben dem Abschluss einer Dienstvereinbarung auch die Regelungsabrede gibt. Eine solche ist von beiden Seiten bisher nicht in Abrede gestellt worden. Es kann insoweit auf § 38 Abs. 1 a. E. MVG.EKD hingewiesen werden, wo ausdrücklich auch die „Einigung“ für möglich gehalten wird. Nicht jede Einigung in mitarbeitervertretungsrechtlichen Angelegenheiten muss per Dienstvereinbarung zustande kommen. Die Frage ist lediglich, ob eine solche in Form der Einigung zustande gekommene Festlegung künftiger Verhaltensweisen (Regelungsabrede) kündbar ist oder nicht. Hier kann nach allgemeinen Gesichtspunkten nur festgestellt werden, dass jedenfalls für eine Regelungsabrede keine stärkeren rechtlichen Regelungen gelten können als für eine Dienstvereinbarung. Natürlich ist also eine Regelungsabrede durch Dienstvereinbarung abänderbar und damit auch kündbar.
Im Gegensatz zu einer früheren Entscheidung ist die Kammer nunmehr einhellig der Meinung, dass es ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung bei der Beschäftigung von erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen auf besonders eingerichteten Arbeitsgelegenheiten nach § 16 Abs. 3 SGB II (seit dem 1. Januar 2008: § 16d SGB II), sog. Ein-Euro-Kräfte, im staatlichen und kirchlichen Bereich gibt. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch das Bundesarbeitsgericht vertreten seit Längerem die Auffassung, dass nach dem jeweils maßgeblichen Recht (BPersVG § 75 Abs. 1 Nr. 1 und den entsprechenden Bestimmungen der Landespersonalvertretungsgesetze bzw. § 99 Abs. 1 BetrVG) der Betriebsrat bzw. Personalrat ein Mitbestimmungsrecht hat (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. März 2007– 6 P 4.06 – PersR 2007, 301; Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 2. Oktober 2007– 1 ABR 60/06 -, NZA 2008, 244). Beide Gerichte vertreten sinngemäß die Auffassung, dass eine „Einstellung“ im mitbestimmungsrechtlichen Sinne vorliege, wenn Personen in die Arbeitsorganisation der Dienststelle/des Betriebes eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern deren/dessen Aufgaben und Ziele durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Auf das Rechtsverhältnis, in dem diese Personen zur Dienststelle/zum Arbeitgeber stehen, komme es nicht an. Es sei daher auch nicht notwendig, dass die betreffende Person mit ihrer Aufnahme in die Dienststelle/den Betrieb Beschäftigte im Sinne von § 4 BPersVG bzw. Arbeitnehmer im Sinne von § 5 BetrVG würde.
Die Kommentarliteratur geht überwiegend ebenfalls von einer mitbestimmungspflichtigen personellen Maßnahme bei der Beschäftigung von Ein-Euro-Kräften aus (bejahend: Fitting, BetrVG, 24. Auflage 2008,§ 99 BetrVG Rn. 55; Thüsing, in Richardi, BetrVG, 11. Auflage 2008,§ 99 BetrVG Rn. 58 a; Ilbertz/Wietmaier, BPersVG, 11. Auflage 2008, § 75 BPersVG Rn. 4 b – kritisch: Raab, in GK, – BetrVG, 9. Auflage 2010, § 99 BetrVG Rn. 31 – ablehnend: Schlochauer in Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai, BetrVG, 7. Auflage 2008, § 99 Rn. 15 – 17 a).
Im kirchlichen Bereich liegt bisher zu § 42 lit. a MVG.EKD noch keine Entscheidung des Kirchengerichtshofes der EKD – Senate für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten – vor. Der den Beteiligten bekannte Kommentar zum MVG.EKD von Fey/Rehren schließt sich der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung an im Hinblick auf den kollektiven Schutz der in der Dienststelle bereits tätigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und deren berechtigte Interessen (siehe § 42 Rn. 14 g). Auch Brachmann (Berliner Kommentar zum MVG.EKD, § 42 Rn. 24) ist der Meinung, dass der Einsatz eines sog. Ein-Euro-Jobbers, der in die Dienststelle eingegliedert und weisungsgebunden beschäftigt wird, eine mitbestimmungspflichtige Einstellung darstelle.
Es war nach allem wie geschehen zu entscheiden.

3.

Die Entscheidung über die Kostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 61 Abs. 9 MVG.EKD.
Faust