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Kirchengericht:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:17.09.2018
Aktenzeichen:NK-MG 6 4/2018 DWHH
Rechtsgrundlage:AVR.DD: Anlage 1, Entgeltgruppe 1
Vorinstanzen:nachfolgend: Kirchengerichtshof der EKD: KGH.EKD I-0124/67-2018 (Nichtannahme)
Schlagworte:
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Leitsatz:

Einfachste Tätigkeiten sind solche, die keinerlei besonderes Können voraussetzen und keinerlei Interaktion mit anderen Menschen abfordern. Dies sind Tätigkeiten, die sich in ihrer Tätigkeit selbst erschöpfen.

Tenor:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob der zu 2. beteiligten Mitarbeitervertretung (Antragsgegnerin) ein Grund zur Verweigerung der Zustimmung der von der Antragstellerin beabsichtigten Eingruppierung zusteht.
Die Antragstellerin betreibt unter anderem zwei Einrichtungen als sog. Jugendhilfewohnstützpunkte, denen eine Leistungsvereinbarung mit der Freien und Hansestadt Hamburg zugrunde liegt. In diesen Einrichtungen wohnen Jugendliche und junge Erwachsene in Apartments und werden tagsüber von sozialpädagogischen Beschäftigten betreut. Diese sozialpädagogische Betreuung findet insbesondere nachts und am Wochenende nicht statt.
Ebenfalls in den beiden Einrichtungen befindet sich ein Bewohnerzimmer, in welchem „Nachtnachbarn und Nachtnachbarinnen“ übernachten.
Mit den jeweils im Anlagenkonvolut ASt1 eingereichten Unterrichtungen teilte die Antragstellerin der Mitarbeitervertretung die beabsichtigte Einstellung von 11 Mitarbeitenden für die Tätigkeit als „Nachtnachbarn / Nachtnachbarinnen“ mit, jeweils mit einer beabsichtigten Eingruppierung der Beschäftigten in die Entgeltgruppe 1 des Eingruppierungskatalogs (Anlage I) der AVR.DD.
Die Anlage 1 der AVR.DD lautet auszugsweise:
Entgeltgruppe 1 (Anm. 1)
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die nach einer Einübung ausgeführt werden können.
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einfachsten Tätigkeiten (Anm. 1) in den Tätigkeitsbereichen
1. Hauswirtschaft/Handwerk/Technik;
2. Hol- und Bringdienst
Richtbeispiele: Reinigungskraft, Küchenhilfe, Botin.
Entgeltgruppe 2 (Anm. 2)
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die erst nach einer fachlichen Einarbeitung ausgeführt werden können.
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sehr einfachen Tätigkeiten (Anm. 2) in den Tätigkeitsbereichen
1. Hauswirtschaft/Handwerk/Technik;
2. Hol- und Bringdienst
3. Verwaltung
Richtbeispiele: Reinigungskraft, Stationshilfe, Mitarbeiterin in der Vervielfältigung und in der Poststelle.
Entgeltgruppe 3 (Anm. 2, 3, 12, 13)
A. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die Fertigkeiten und einfachste Kenntnisse voraussetzen.
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
1. mit einfachsten Tätigkeiten (Anm. 3) in den Tätigkeitsbereichen
a. Pflege/Betreuung/Erziehung/Integration
b. Hauswirtschaft/Handwerk/Technik
c. Verwaltung
[...]
Richtbeispiele: Hauswirtschaftskraft, Präsenzkraft, Mitarbeiterin im Empfang, in der Registratur und in der Telefonzentrale, Mitarbeiterin nach § 87b SGB XI.
Die Mitarbeitervertretung zeigte jeweils Erörterungsbedarf an, weil diese eine höhere Eingruppierung für maßgeblich hielt. Die Parteien haben über Monate versucht eine Einigung zu erzielen. Mit Schreiben vom 8. März 2018 verweigerte die Mitarbeitervertretung schließlich die Eingruppierung der betroffenen Mitarbeitenden in die Entgeltgruppe 1.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die betroffenen Mitarbeitenden in die Entgeltgruppe 1 eingruppiert seien. Sie erledigten einfachste Tätigkeiten, die wenn überhaupt nach einer Einübung ausgeführt werden könnten. Weder sei eine Einarbeitung, noch seien spezifische Kenntnisse erforderlich. Aufgaben der Pflege, Betreuung, Erziehung oder auch Integration würden nicht übernommen. Es gehe schlicht um die Präsenz in der Nachtzeit, in welcher schlafbedingt solche Aufgaben nicht anfielen. Vergleichbar seien diese, wenn auch mit im Einzelnen benannten Unterschieden, mit der Tätigkeit eines/einer Concierge.
Es gehe bei dieser Tätigkeit um die reine Präsenz einer Person, die als Ansprechpartnerin zur Verfügung stehe und eine telefonische Verbindung von und zu der Einrichtung sicherstellen könne. Es gehe gerade nicht um einen Kontakt zu den Jugendlichen, sondern um eine rein passive Stellung zu den in der jeweiligen Einrichtung wohnenden Jugendlichen.
Der Auftrag der Nachtnachbarinnen und Nachtnachbarn bestehe darin, in der jeweiligen Einrichtung zu übernachten bzw. erreichbar zu sein, um bei Bedarf für eine (erste) Unterstützung der Bewohner da zu sein, um Maßnahmen im Sinne der Hausordnung sowie zum Zwecke der Informationsweitergabe an die berufenen Stellen durchzuführen. Dies seien schlicht Erwartungen, die die allgemeine Rechtsordnung von jedem Nachbarn und jeder Nachbarin, sowie jedem Bürger und jeder Bürgerin erwarte.
Die Antragstellerin beantragt unter Zurücknahme bezogen auf einen Herrn M 11 zuletzt noch,
festzustellen, dass für die Antragsgegnerin kein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur Eingruppierung der als sogenannte Nachtnachbarinnen bzw. Nachtnachbarn von der Antragstellerin eingestellten Mitarbeitenden
- Frau M 1
- [...]
- Herrn M 10
in die Entgeltgruppe 1 des Eingruppierungskatalogs (Anlage I) der Arbeitsvertragsrichtlinien Diakonie Deutschland (AVR.DD) vorliegt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Tätigkeiten unterfielen der Entgeltgruppe 3 der Anlage 1 der AVR.DD. Die Tätigkeiten seien dem Bereich „Pflege/Betreuung/Erziehung“ zuzuordnen. Dies sei die Einstiegsgruppe für diesen Tätigkeitsbereich insgesamt. Ausweislich der Stellenausschreibung und Stellenbeschreibung liege das Gepräge in dem Kontakt zu den Jugendlichen. Denn im akuten Bedarfsfall sei die Aufgabe der Nachtnachbarinnen und Nachtnachbarn die Unterstützung und das Fungieren als Ansprechpartner*in. Außerdem müssten diese die Hausordnung gegenüber den Jugendlichen durchsetzen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, die Gegenstand der Verhandlung vor der Kammer gewesen sind, Bezug genommen und verwiesen.

II.

Der zulässige, form- und fristgerechte Antrag der Dienstellenleitung ist unbegründet.
Es ist nicht festzustellen, dass für die Mitarbeitervertretung als Antragsgegnerin kein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zur Eingruppierung der als sogenannte „Nachtnachbarinnen“ bzw. „Nachtnachbarn“ von der Antragstellerin eingestellten Mitarbeitenden in die Entgeltgruppe 1 vorliegt.
Im Ergebnis hat die Mitarbeitervertretung die Zustimmung zu Recht verweigert. Die zehn genannten Mitarbeitenden erbringen nach Auffassung der Kammer Tätigkeiten, die nicht der Entgeltgruppe 1 der Anlage 1 der AVR.DD zugeordnet sind, sondern bereits der Entgeltgruppe 3.
Es scheint vorliegend – aus Sicht der Antragstellerin - so zu sein, dass die Mitarbeitenden „Nachtnachbarn“ und „Nachtnachbarinnen“ in der Räumlichkeit im Jugendhilfewohnstützpunkt lediglich übernachten sollen. Dies ist jedoch im Ergebnis nicht der Fall, weshalb sich eine Eingruppierung nach der Ziffer 1 nicht rechtfertigt, jedoch nach der Ziffer 3.
Die Entgeltgruppe 1 deckt lediglich einfachste Tätigkeiten ab, solche die nach einer kurzen Einübung erbracht werden können. Kennzeichnend sind aus Sicht der Kammer hierbei Tätigkeiten, die letztlich keinerlei besonderes Können voraussetzen und keinerlei reziproke Interaktion mit anderen Menschen abfordert. Dies sind Tätigkeiten, die sich in ihrer Tätigkeit selbst erschöpfen. Beispielhaft sind genannt, der Hol- und Bringdienst, wobei sich im Holen und Bringen die Tätigkeit bereits erschöpft; bzw. Küchenhilfe und Reinigungskraft oder Botin, wobei sich die Tätigkeit im Übermitteln oder Überbringen erschöpft. Eine Interaktion ist nicht Kern der Tätigkeit.
Dies ist ebenfalls bei Tätigkeiten der Entgeltgruppe 2 der Fall, bei welchen es sich jedoch bereits um einfache Tätigkeiten handelt.
Erst bei Tätigkeiten nach der Entgeltgruppe 3, ebenfalls sogenannten einfachsten Tätigkeiten, ist bereits eine Interaktion Bestandteil der Tätigkeit, wenn auch auf niedrigschwelligster Ebene.
Bei dem Konzept der „Nachtnachbarschaft“ geht es im Ergebnis nicht darum, dass es in dem zusätzlichen Bewohnerapartment eine schlicht schlafende Person gibt. Eine schlicht schlafende Person erfüllt überhaupt keine Tätigkeit.
Im Ergebnis geht es darum, dass in den - beabsichtigt sehr seltenen – Fällen, dass dort wohnende Jugendliche eine Bedarfssituation haben, die Nachtnachbarn bzw. Nachtnachbarinnen tätig werden, indem diese ein Telefonat führen bzw. erste Hilfe leisten. Dabei soll zwar nach Intention der Antragstellerin keine pädagogische Tätigkeit entfaltet werden; es bleibt jedoch in jedem Fall die einfache Interaktion mit der jugendlichen Person. Der mit der Nachtnachbarschaft beschäftigten Person ist auch die Entscheidung überlassen, ob überhaupt ein Telefonat geführt werden muss oder die Situation sich bereits anders klären lässt oder geklärt hat.
Außerdem ist nach der vorgelegten Stellenbeschreibung die mit der Nachtnachbarschaft beschäftigte Person auch dazu berufen, die Hausordnung durchzusetzen und die Computernutzung einzuschränken. Auch in diesem Bereich ist somit notwendigerweise eine irgendwie geartete einfachste Interaktion mit der jugendlichen Person erforderlich. In der Stellenausschreibung heißt es ebenfalls, dass die Nachtnachbarschaft ein sicheres Auftreten gegenüber den Jugendlichen und jungen volljährigen Personen besitzen muss. Letzteres ist für Tätigkeiten ohne Interaktion schlicht nicht erforderlich.
Eine andere Bewertung ergibt sich nicht aus dem Hinweis, dass von Nachtnachbarn und Nachtnachbarinnen nichts anderes erwartet würde als was die Rechtsordnung im Sinne von strafbewehrter unterlassener Hilfeleistung von jedem Bürger oder jeder Bürgerin erwarten würde. Die Nachtnachbarschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine reguläre Nachbarschaft ist, sondern eine extra eingerichtete. Dass sich bestimmte Aufgaben als Jedermanns-Aufgabe darstellten, hat für die Eingruppierung keine Relevanz.
Es bleibt zuzugeben, dass die Tätigkeit der Nachtnachbarschaft eine einfachste ist, jedoch im Sinne der Entgeltgruppe 3.
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Tiemens (Vorsitzender Richter)
Karnatz (Richter)
Wicht (Richter)