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Kirchengericht:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:12.11.2020
Aktenzeichen:NK-MG 1 2/2020
Rechtsgrundlage:§ 40 Buchst. e) MVG-EKD
Vorinstanzen:nachfolgend: Kirchengerichtshof der EKD: KGH.EKD I-0124/49-2020 (Nichtannahme)
Schlagworte:
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Leitsatz:

Die Mitarbeitervertretung hat kein Mitbestimmungsrecht bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen und der damit verbundenen Verpflichtung der Mitarbeitenden, in dieser Zeit Urlaub zu nehmen.

Tenor:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe:

Die Beteiligten streiten um die mit der Schließung der Kindertagesstätten vom 23.03.2020 bis 17.04.2020 verbundenen Anordnung an die Mitarbeitenden, in dieser Zeit in Urlaub zu gehen.
Mit Schreiben vom 19.03.2020 teilte das Kindertagesstättenwerk des Ev.-Luth. Kirchenkreises O den Mitarbeitenden im Kita-Werk mit, dass aufgrund der Allgemeinverfügung des Kreises O zum Verbot und zur Einschränkung von Kontakten in besonderen öffentlichen Bereichen auf dem Gebiet des Kreises O vom 15.03.2020 ab Montag, den 23.03.2020 bis voraussichtlich Freitag, den 17.04.2020 alle Kindertagesstätten des Kindertageswerkes schließen werden und aufgrund des Betretungsverbotes mit Ausnahme ggf. einer Aufrechterhaltung für Notgruppen nicht mehr begangen werden dürften. Weiter heißt es in diesem Schreiben wie folgt:
„Um für alle Mitarbeitenden die Sicherheit der Lohnfortzahlung in vollem Umfang zu gewährleisten, werden alle Mitarbeitenden ab dem 23.03.2020 bis voraussichtlich 17.04.2020 aufgrund der Betriebsschließung in den Urlaub gehen.“
Die Mitarbeitervertretung hat mit Schreiben vom 27.03.2020 verdeutlicht, dass wegen des ihr zustehenden Mitbestimmungsrechts über die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze sie auch mitzubestimmen habe hinsichtlich der Frage, ob im Betrieb für eine bestimmte Zeit Betriebsferien gemacht werden sollten; deshalb hält die Mitarbeitervertretung den angeordneten Zwangsurlaub für unzulässig. Der Kirchenkreis hat mit Schreiben vom 02.04.2020 widersprochen. Mit Antragsschrift vom 22.04.2020, beim Kirchengericht eingegangen per Fax am 23.04.2020, im Original am 30.04.2020, beantragt nunmehr die Mitarbeitervertretung die Feststellung, dass die Festlegung der Betriebsschließung und die damit verbundene Verpflichtung der Mitarbeitenden, in dieser Zeit Urlaub zu nehmen, unwirksam sei.
Die Mitarbeitervertretung vertritt weiterhin die Auffassung, die Dienststelle habe hier Schließtage festgelegt, die mit einer Urlaubsanordnung verbunden seien, und damit eine gem. § 40 e MVG-EKD mitbestimmungspflichtige Maßnahme ohne Beteiligung der Mitarbeitervertretung durchgeführt; diese Maßnahme sei unwirksam und die Unwirksamkeit sei festzustellen. Ein Rechtsschutzbedürfnis sei schon deshalb noch gegeben, weil die Maßnahme konkrete Auswirkungen für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer habe; im Übrigen liege dem konkreten Streitgegenstand eine allgemeine Rechtsfrage zugrunde. Es sei daher ein berechtigtes Interesse gegeben, diese allgemeine Streitfrage über den konkreten Anlass hinaus zu entscheiden, denn eine solche Entscheidung werde zukünftige Befriedungswirkung haben.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
festzustellen, dass die Festlegung der Betriebsschließung aller Kindertagesstätten des Kita-Werkes des Beteiligten ab dem 23.03.2020 bis voraussichtlich 17.04.2020 und die damit verbundene Verpflichtung aller Mitarbeitenden, für diese Zeit Urlaub zu nehmen, unwirksam ist,
hilfsweise,
festzustellen, dass die aufgrund der Betriebsschließung erfolgte Anordnung an alle Mitarbeitenden der Kindertagesstätten des Kita-Werkes, ab dem 23.03.2020 bis 17.04.2020 Urlaub zu nehmen, eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme nach § 40 e MVG-EKD darstellt,
weiter hilfsweise,
festzustellen, dass der Antragstellerin bei der Festlegung von Schließungstagen und der damit verbundenen Anordnung von Urlaub für alle Mitarbeitenden der Kindertagesstätten des Kita-Werkes in der Zeit der Betriebsschließung ein Mitbestimmungsrecht zusteht,
weiter hilfsweise,
dem Beteiligten aufzugeben, die aufgrund der Betriebsschließung erfolgte Urlaubsanordnung an alle Mitarbeitenden der Kindertagesstätten des Kita-Werkes für die Zeit vom 23.03.2020 bis 17.04.2020 zurückzunehmen.
Die Dienststelle beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Die Dienststelle verweist zunächst darauf, dass sie sich berechtigt sieht, die zeitliche Lage des Urlaubs gegenüber dem einzelnen Mitarbeiter festzulegen; insoweit sei ein Mitbestimmungsrecht nach MVG-EKD nicht gegeben. Aus § 40 e MVG-EKD gebe es ein Mitbestimmungsrecht für die „Aufstellung von Grundsätzen für den Urlaubsplan“. Bei der Anordnung von Urlaub gegenüber einzelnen Mitarbeitenden gehe es jedoch nicht um Grundsätze für einen Urlaubsplan; die Dienststelle verweist darauf, dass § 40 e MVG-EKD nicht mit dem Wortlaut von § 87 Abs. 1 Nr. 5 Betriebsverfassungsgesetz inhaltlich korrespondiere. Ebenso wie ein Arbeitgeber einem Urlaubswunsch des Arbeitnehmers nicht nachkommen müsse, wenn dem Wunsch dringende betriebliche Belange entgegenstünden, sei ein Unternehmen bei aktuell besonders geringem Arbeitsanfall auch berechtigt, Urlaub anzuordnen. Die Urlaubsanordnung sei in solchen Fällen eine weniger schwerwiegende Maßnahme als die Anordnung von Kurzarbeit oder der Ausspruch von betriebsbedingten Änderungs- oder Beendigungskündigungen. Die Frage jedoch, ob die Anordnung von Urlaub gegenüber den betroffenen Mitarbeitern dem billigen Ermessen entspreche oder nicht, sei ausschließlich eine individualrechtliche Rechtsfrage, die nicht kollektivrechtlich nach dem MVG-EKD zu beurteilen wäre. Im Übrigen habe sie, die Dienststelle, die Betriebsstätten nicht selbstbestimmt geschlossen, sondern diese seien aufgrund behördlicher Anordnung geschlossen worden, weshalb es einen Ermessensspielraum nicht gegeben habe. Von daher habe es sich nicht um vom Arbeitgeber eingeführte Betriebsferien gehandelt. Das Mitbestimmungsrecht des § 40 e MVG-EKD beziehe sich ausschließlich auf die allgemeinen Urlaubsgrundsätze, nicht auf den konkreten Urlaubsplan oder gar auf den Urlaub eines einzelnen Mitarbeiters.
Dem Hauptantrag sowie dem zweiten Hilfsantrag fehlt es an einem Feststellungsinteresse; hinsichtlich des ersten und dritten Hilfsantrags steht der Mitarbeitervertretung ein Mitbestimmungsrecht nicht zu.
Hinsichtlich des Hauptantrags ist zunächst zu bedenken, dass dieser erst nach Abschluss der Zeit gestellt wurde, für die aufgrund der Betriebsschließung der Kindertagesstätten Urlaub für die Mitarbeitenden angeordnet wurde. Ein rechtlich schützenswertes Interesse für eine solche vergangenheitsbezogene Entscheidung würde voraussetzen, dass hier für die Zukunft eine befriedende Wirkung zu erwarten wäre. Dies folgt jedoch entgegen der Auffassung der Mitarbeitervertretung zur Überzeugung des Gerichts nicht daraus, dass die einzelnen Mitarbeitenden hinsichtlich ihrer für das Jahr 2020 noch verbleibenden Urlaubsansprüche durch diese Entscheidung betroffen sind. Denn insoweit handelt es sich um ausschließlich individualrechtliche Ansprüche, die jeder einzelne Mitarbeitende beim staatlichen Arbeitsgericht durchsetzen müsste; ein kollektivrechtlicher Bezug findet sich hier nicht; und die Mitarbeitervertretung wäre für die Durchsetzung dieser Ansprüche auch nicht zuständig. Hinsichtlich des zweiten Hilfsantrags stellt das Gericht zunächst fest, dass die Mitarbeitervertretung auch hinsichtlich einer mit der Festlegung von Schließungstagen verbundenen Anordnung von Urlaub ein Mitbestimmungsrecht beansprucht; ein solches Mitbestimmungsrecht ergibt sich jedoch nicht aus § 40 e MVG-EKD. Denn das Mitbestimmungsrecht besteht allein hinsichtlich der Aufstellung von Grundsätzen für den Urlaubsplan; dies beinhaltet nicht die konkrete Bewilligung oder Anordnung von Urlaub für einzelne Mitarbeitende.
Soweit sich der zweite Hilfsantrag darauf bezieht, es möge festgestellt werden, dass der Mitarbeitervertretung bei der Festlegung von Schließungstagen ein Mitbestimmungsrecht zusteht, lässt sich dies mit § 40 e MVG-EKD in Einklang bringen; gleichwohl hat das Gericht nicht nachvollziehen können, weshalb aus einer entsprechenden Entscheidung für die Zukunft eine befriedende Wirkung hergeleitet werden könnte. Denn insoweit müsste es sich um ein streitiges Rechtsverhältnis handeln. Auch das Gericht geht zwar davon aus, dass mitbestimmungspflichtig wäre die Festlegung von Schließungstagen durch die Dienststelle mit der damit verbundenen Verpflichtung, Urlaub zu nehmen, oder die Festlegung von Betriebsferien; der hier streitbefangene Vorgang stellt jedoch, wie im Weiteren ausgeführt wird, weder eine Festlegung von Schließungstagen durch die Dienststelle noch die Festlegung von Betriebsferien dar, und dass die Dienststelle, wenn sie denn Schließungstage oder Betriebsferien festlegen würde, der Mitarbeitervertretung insoweit ein Mitbestimmungsrecht bestreiten würde, ist nicht ersichtlich. Nur dann aber, wenn angenommen werden muss, die Dienststelle würde sich in einem solchen Fall weigern, die Mitbestimmungsrechte der Mitarbeitervertretung zu berücksichtigen, wäre eine solche Entscheidung veranlasst und damit ein Feststellungsinteresse gegeben.
Hinsichtlich der Hilfsanträge eins und drei steht zur Überzeugung des Gerichts der Mitarbeitervertretung ein Mitbestimmungsrecht nicht zu, denn es geht, auch wenn eine Vielzahl von Mitarbeitenden betroffen ist, um die jeweils individualrechtlichen Urlaubsansprüche der einzelnen Mitarbeitenden. Ein Mitbestimmungsrecht dahingehend, wann und wie der Urlaub der oder des einzelnen Beschäftigten festzulegen ist, folgt aus § 40 e MVG-EKD gerade nicht. Und eine Festlegung von Schließungstagen durch die Dienststelle oder die Anordnung von Betriebsferien durch diese gibt es für den streitbefangenen Zeitraum zur Überzeugung des Gerichts gerade nicht, weshalb hier auch nicht von allgemeinen Grundsätzen für den Urlaubsplan gesprochen werden kann. Denn die streitbefangene Schließung der Kindertagesstätten ist durch behördliche Anordnung erfolgt; der Dienststelle stand insoweit ein Entscheidungs- oder Ermessensspielraum nicht zu. Die Wahrnehmung eines Mitbestimmungsrechts setzt aber zur Überzeugung des Gerichts voraus, dass eine entsprechende Festlegung das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Mitarbeitervertretung und Dienststelle überhaupt sein kann. Verhandeln kann man beispielsweise darüber, ob und in welchem Umfang während allgemeiner Schulferien Kindertagesstätten geschlossen werden und insoweit Betriebsferien angeordnet werden sollen oder in welchem Umfang beispielsweise Schließtage für Fortbildungen festgelegt werden. Ein solcher Fall liegt hier jedoch gerade nicht vor; aufgrund der behördlichen Anordnung der Schließung der Kindertagesstätten bestand ein Verhandlungsspielraum für keine der beiden Seiten.

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Raasch (Vorsitzende Richterin)
Bodin (Richter)
Pries (Richter)