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Kirchengericht: | Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 28.02.2023 |
Aktenzeichen: | NK-MG 5 12/2022 DWHH |
Rechtsgrundlage: | § 60 (2) i. V. m. § 3 (2) S.1 MVG-EKD |
Vorinstanzen: | keine |
Schlagworte: |
Leitsatz:
Eine räumlich weite Entfernung liegt vor, wenn die räumliche Distanz die persönliche Kontaktaufnahme in einer derartigen Weise erschwert, dass eine ordnungsgemäße Betreuung der Mitarbeitenden durch die Mitarbeitervertretung nicht gewährleistet ist. Eigenständigkeit durch Aufgabenbereich und Organisation setzt voraus, dass der Dienststellenteil organisatorisch abgegrenzt werden kann, eine gewisse Selbstständigkeit aufweist und auch einen gesonderten eigenen arbeitstechnischen Zweck erfüllt.
Tenor:
1. Die unzulässigen Anträge sind unbegründet.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über einen Feststellungsantrag.
Die Antragstellerin ist Rechtsträgerin von elf stationären Altenpflegeeinrichtungen, die über das Stadtgebiet verteilt sind. Diese bieten pflegerische Versorgung und Betreuung alter Menschen an.
Die Antragsgegnerin und Beteiligte zu 2) ist die bei der Antragstellerin gebildete Mitarbeitervertretung, die vor der Mitarbeitervertretungswahl 2022 neun der elf Einrichtungen vertrat, nicht jedoch die Einrichtungen A und B.
Vor Übernahme der Rechtsträgerschaft durch die Antragstellerin wurden die Einrichtung A und die Einrichtung B in der Rechtsform eigenständiger Stiftungen geführt, die Einrichtung C und die Einrichtung D standen in der Rechtsform der örtlichen Evangelischen Kirchengemeinden.
Im Rahmen der Mitarbeitervertretungswahlen 2022 kam es im Vorfeld in den vier Einrichtungen A, B, C und D zu Wahlen nach § 3 Abs. 2 MVG.EKD mit dem Ziel der Verselbstständigung der Einrichtungen. Im Folgenden fanden in der Einrichtung A und in der Einrichtung B einrichtungsbezogene Mitarbeitervertretungswahlen statt, außerdem fand die Wahl der Antragsgegnerin statt. Zwischen den Beteiligten gab es in Bezug auf die Wahlen und deren Vorbereitung Streitigkeiten vor dem Kirchengericht. Aktuell ruhen ein Wahlanfechtungsverfahren bzgl. der Wahl in der Einrichtung A, in der Einrichtung B und in Bezug auf die Wahl der Antragsgegnerin.
Zwischen den Beteiligten herrscht Streit dahin, ob die einzelnen Einrichtungen überhaupt nach § 3 Abs. 2 S. 1 MVG.EKD eigenständig in Aufgabenbereich und Organisation sein können.
Die Antragstellerin hält das Verfahren für zulässig nach § 60 Abs. 2 MVG.EKD. Auch die gestellten Anträge hält diese für zulässig, nachdem die Anträge vom X.Y.2022 in der Fassung aus dem Schriftsatz vom X.Y.2022 in der Verhandlung vor der Kammer vom X.Y.2023 erneut umgestellt worden sind.
Es bestehe ein Feststellungsinteresse dahin, verbindlich zu klären und zwischen den Beteiligten festzustellen, ob die Einrichtungen sich nach § 3 Abs. 2 MVG.EKD verselbstständigen können. Diese Feststellung habe Auswirkung auf die drei noch anhängigen, jedoch aktuell ruhend gestellten Verfahren in Hinblick auf die Wahlanfechtungen bei der Antragsgegnerin und in den Einrichtungen A und B.
Aus Sicht der Antragstellerin könnten die elf Einrichtungen, insbesondere die vier Einrichtungen A, B, C und D sich zu Dienststellenteilen verselbstständigen. Dies sei teilweise bereits geschehen. Die Einrichtungen seien durch Organisation und Aufgabenbereiche eigenständig i. S. d. Norm. Die sämtlichen Einrichtungen seien örtlich und räumlich voneinander als auch von der Dienststelle strikt getrennt. Sie seien eigenständig operierende Einheiten, in denen unter einer umfassend zuständigen und verantwortlichen Leitung die jeweiligen Belegschaften autonom die stationäre Altenpflege in einem in sich geschlossenen arbeitsorganisatorischen Organismus erfüllten, wobei sämtliche Entscheidungen in personeller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht ausschließlich den jeweiligen Einrichtungen zugewiesen seien. Die wesentliche Arbeitgebereigenschaft werde durch die Einrichtungsleiter und Einrichtungsleiterinnen in den jeweiligen Einrichtungen wahrgenommen. Allein die wirtschaftliche und strategische Gesamtverantwortung nehme die Antragstellerin wahr, wie auch die „zentralen Dienste“, z. B. Verwaltung, Controlling, Buchhaltung, etc. Damit sei die erforderliche relative Eigenständigkeit gegeben.
Die Eigenständigkeit im Aufgabenbereich manifestiere sich in der lokalen bzw. regionalen Ausrichtung des Leistungsangebots und den sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen.
Die Antragstellerin beantragt zuletzt unter Bezugnahme auf die bisherigen Anträge vom X.Y.2022 in der Fassung vom X.Y.2022 nunmehr
- festzustellen, dass die stationären Altenpflegeheimeinrichtungen der Beteiligten zu 1) jeweils eigenständig in Aufgabenbereich und Organisation i. S. d. § 3 Abs. 2 S. 1 MVG.EKD sind,hilfsweise festzustellen, dass die stationären Altenpflegeheimeinrichtungen der Beteiligten zu 1) A, B, C und D jeweils eigenständig in Aufgabenbereich und Organisation i. S. d. § 3 Abs. 2 S. 1 MVG.EKD sind.
- die Anträge zurückzuweisen.
Ob die in den einzelnen Häusern A und B durchgeführten Abstimmungen ordnungsgemäß durchgeführt worden sind, sei Gegenstand der anhängigen weiteren Verfahren. Das isolierte Feststellungsinteresse sei jedoch bereits in diesem Verfahren gegeben, da die anderen Verfahren entschieden werden könnten, ohne dass diese grundlegende Streitfrage dabei beantwortet würde.
Die Mitarbeitervertretung ist der Ansicht, dass die seitens der Antragstellerin behauptete strikte Trennung der Verantwortlichkeiten nicht durchweg bestehe. So würden Arbeitsverträge einrichtungsübergreifend genutzt, ohne dass eine Hauszuordnung (noch) vorgesehen wäre. Damit bestünde arbeitgeberseitig die Möglichkeit, Beschäftigte einrichtungsübergreifend einzusetzen. Auch das aktuell überarbeitete Diakonieleitbild spreche gegen die Eigenständigkeit, da es dort laute, dass unter dem Dach der Antragstellerin und ihrer Einrichtungen als Gemeinschaft gelebt und gearbeitet werde. Den jeweiligen Einrichtungen fehle es insbesondere an der Eigenständigkeit in Hinblick auf den Aufgabenbereich, denn alleiniger Aufgabenbereich sei der Betrieb von stationären Altenpflegeeinrichtungen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen und verwiesen.
II.
1.
a.
Der Hauptantrag ist unzulässig.
aa.
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass der gestellte Antrag hinreichend konkret formuliert ist.
bb.
Es besteht jedoch kein rechtliches Interesse an der beantragten Feststellung.
(1)
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn die klagende oder antragstellende Partei ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Der gemeinsame Wunsch zweier beteiligter Parteien ist dabei nicht ausreichend.
Nicht feststellungsfähig sind abstrakte Rechtsfragen oder nur gedachte rechtliche Beziehungen, da es nicht Aufgabe der Gerichte ist, Rechtsgutachten zu erstatten. Die Unterscheidung zwischen Rechtsverhältnis einerseits und Rechtsfrage andererseits wird problematisch, falls es sich um konkrete Rechtsbeziehungen handelt, wenn etwa die Feststellung verlangt wird, dass das unstreitig zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis bestimmter Art sei, z. B. ein Dienst- und kein Gesellschaftsverhältnis. Die Praxis hält Feststellungsklagen insoweit für statthaft. Wesentlich ist die Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Deshalb empfiehlt sich eine flexible, auf die Umstände des Einzelfalles abgestellte Handhabung des § 256 ZPO, die darauf auszurichten ist, ob der Streit zwischen den Parteien durch ein Feststellungsurteil ausgeräumt und Rechtssicherheit mit der Folge herbeigeführt werden kann, dass weitere Prozesse sich erübrigen. Jedoch darf die Auslegung des Abs. 1 nicht so weit gehen, dass der materiellen Rechtsordnung Vorrang vor dem Verfahrensrecht eingeräumt und bei jedem materiell-rechtlichen Bedürfnis nach einer Klagemöglichkeit mangels Statthaftigkeit anderer Klagearten stets die Feststellungsklage zur Verfügung gestellt wird (MüKoZPO/Becker-Eberhard, 6. Aufl. 2020, ZPO § 256 Rn. 22).
(2)
Nach Vorstehendem ist der Antrag deshalb nicht zulässig, weil zum Einen bereits zwischen den Beteiligten drei weitere (Wahlanfechtungs-)Verfahren anhängig sind, die momentan nicht betrieben werden, in denen die hier begehrte Feststellung jeweils streiterheblich ist. Mit diesem Feststellungsverfahren wird nun ein weiteres Verfahren betrieben. Für den Fall, dass in diesem Feststellungsverfahren von der Begründetheit der Feststellung ausgegangen würde, würde dies die drei bereits anhängigen Verfahren nicht entscheiden und entbehrlich machen, da sich in den Verfahren auch andere Fragen stellen, die zu entscheiden wären. Die Feststellung ist nicht in jeder Hinsicht geeignet, bestehenden Streit zwischen den Beteiligten zu vermeiden.
Zum Anderen ist die Feststellungsfrage gerichtet auf eine Rechtsfrage, die zwar zwischen den Beteiligten grundsätzlich im Raum steht, jedoch nicht zwingend ein konkretes Rechtsverhältnis betrifft. Das Feststellungsverfahren ist gerichtet auf eine bloße Rechtsfrage.
(3)
Selbst wenn die hier in Frage stehende Feststellung im Einzelfall in den drei anhängigen Verfahren nicht entschieden würde, ist der Feststellungsantrag wie vorstehend beschrieben unzulässig.
In Hinblick darauf, dass eine Verselbstständigung erst für die MAV-Wahlen 2026 relevant wäre, könnte in einer der streitgegenständlichen Einrichtungen ein Verselbstständigungsverfahren betrieben und ggfs. kirchengerichtlich entschieden werden. Die Rechtsfrage könnte durch ein konkretes Verfahren geklärt werden, ohne dass ein erkennbarer Nachteil entstünde.
cc.
Abschließend besteht Zweifel, ob die bloße Feststellung einer Teilvoraussetzung allein feststellungsfähig wäre, da die Zuständigkeit des Kirchengerichtes nach § 60 Abs. 2 MVG.EKD im Rahmen des § 3 MVG.EKD nur in Hinblick auf die Ersetzung eines Einvernehmens bestehen dürfte. Die enumerative Auflistung der Zuständigkeit des Kirchengerichtes dürfte insoweit abschließend sein.
b.
Auch der weitere hilfsweise Feststellungsantrag ist unzulässig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen.
2.
Selbst unterstellt, der Antrag zu 1. a. wäre zulässig, weil die Beteiligten sich nicht auf einen weiteren Rechtsstreit verweisen lassen müssten, so ist dieser doch unbegründet.
Nach § 3 Abs. 2 S. 1 MVG.EKD gelten Dienststellenteile als Dienststellen i. S. d. § 3 Abs. 1 MVG.EKD, die durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig oder räumlich weit entfernt vom Sitz des Rechtsträgers (hier: die Antragstellerin) sind und bei denen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 MVG.EKD vorliegen, wenn die Mehrheit ihrer wahlberechtigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dies in geheimer Abstimmung beschließt und darüber Einvernehmen mit der Dienststellenleitung herbeigeführt wird.
a.
Dabei ist zunächst festzuhalten, dass die Variante 2, räumliche Trennung nicht gegeben ist.
Eine räumlich weite Entfernung liegt vor, wenn die räumliche Distanz die persönliche Kontaktaufnahme zwischen Mitarbeitervertretung in der Hauptdienststelle und den Mitarbeitenden in einer derartigen Weise erschwert, dass eine ordnungsgemäße Betreuung der Mitarbeitenden des räumlich entfernten Dienststellenteils durch die Mitarbeitervertretung nicht gewährleistet ist (vgl. § 3 Loussen, Mestwerdt, Nause, Spelge, Rz. 8, mwN). Eine Fahrzeit von mehr als zwei Stunden oder eine Entfernung von über 60 km könnte einer sachgerechten Betreuung entgegenstehen. Vorliegend befinden sich alle Einrichtungen im Hamburger Stadtgebiet, weshalb jeweils eine Entfernung von unter 30 km und eine Fahrzeit von unter 60 min besteht.
b.
Die weitere Voraussetzung einer Eigenständigkeit in Organisation und Aufgabenbereich ist ebenfalls nicht gegeben.
Dabei sieht die Kammer zwar die Möglichkeit der Eigenständigkeit der einzelnen Einrichtungen in der Organisation. Voraussetzung ist jedoch die Eigenständigkeit auch im Aufgabenbereich.
Eigenständigkeit durch Aufgabenbereich und Organisation setzt voraus, dass dem Dienststellenteil wesentliche Entscheidungen in wirtschaftlichen, sozialen oder personellen Angelegenheiten verbleiben. Erforderlich ist, dass der Dienststellenteil von der Dienststelle organisatorisch abgegrenzt werden kann und eine gewisse Selbstständigkeit aufweist (vgl. § 3 Loussen, Mestwerdt, Nause, Spelge, Rz. 6, mwN). Hierbei kommt es, und darauf weist die Antragstellerin zu Recht hin, auf eine relative Selbstständigkeit an (vgl. bereits Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der EKD 1. Kammer Beschl v. 28.04.2003, Rz. 40, juris).
Im Aufgabenbereich ist erforderlich, dass der Dienststellenteil auch einen gesonderten eigenen arbeitstechnischen Zweck erfüllt (vgl. § 3 Loussen, Mestwerdt, Nause, Spelge, Rz. 7, mwN). Der arbeitstechnische Zweck der elf einzelnen Einrichtungen ist der Betrieb der Altenpflegeeinrichtung. Dabei werden in den jeweils elf Einrichtungen die dort vorhandenen Betriebsmittel, Gebäude, und Beschäftigten einzig eingesetzt, um die ordnungsgemäße Versorgung, Betreuung und Pflege von älteren Menschen sicherzustellen und zu gewährleisten. Der arbeitstechnische Zweck der jeweiligen Einrichtungen untereinander ist damit identisch. Unerheblich ist, wie in den jeweiligen Einrichtungen die örtlichen Gegebenheiten sind, da hierdurch der arbeitstechnische Zweck, Betrieb einer Altenpflegeeinrichtung, nicht geändert wird. Hintergrund für die Regelung in § 3 Abs. 2 MVG.EKD ist, dass eine ortsnahe Interessenvertretung in wirtschaftlichen, persönlichen und sozialen Belangen ermöglicht werden soll. In Hinblick auf die identischen Aufgabenbereiche der elf Einrichtungen stellen sich in allen Einrichtungen dieselben mitzubestimmenden Fragen, so dass keine einzelne Einrichtung die erforderliche Eigenständigkeit aufweist.
III.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, § 61 Abs. 9 MVG.EKD.
#Tiemens (Vorsitzender Richter) Ulbricht (Richterin) Büsing (Richter) |