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Vereinbarung
über die Wahrnehmung der evangelischen Seelsorge in den Justizvollzugseinrichtungen in Schleswig-Holstein

Vom 1. November 2019

(KABl. S. 520)

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Das Land Schleswig-Holstein,
vertreten durch den Ministerpräsidenten,
dieser vertreten durch die Ministerin für Justiz,
Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung
und die Evangelisch-Lutherische Kirche
in Norddeutschland,
vertreten durch die Kirchenleitung,
diese vertreten durch die Landesbischöfin als vorsitzendem Mitglied und ein weiteres Mitglied der Kirchenleitung,
schließen auf der Grundlage des Vertrags zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in Schleswig-Holstein vom 23. April 1957 (Staatskirchenvertrag) sowie den landesgesetzlichen Regelungen zum Justizvollzug und den kirchlichen Regelungen zur Seelsorge und zum Seelsorgegeheimnis folgende Vereinbarung über die Wahrnehmung der evangelischen Seelsorge in den Justizvollzugseinrichtungen in Schleswig-Holstein:
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Präambel

Die Seelsorge in den staatlichen Justizvollzugseinrichtungen ist als gemeinsame Angelegenheit – res mixta – von Staat und Kirche nur durch eine gegenseitige kooperative Ausgestaltung möglich. Dabei sind die mit Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 und 141 WRV gegebenen Rechte der Nordkirche, die Seelsorge in den Anstalten inhaltlich und organisatorisch unabhängig zu ordnen und zu verwalten, mit den staatlichen Justizvollzugsaufgaben in eine praktische Konkordanz zu bringen. Unbeschadet unterschiedlicher Rechtsauffassungen zu Artikel 8 Absatz 2 und 3 des Staatskirchenvertrags sind die folgenden Regelungen zur Wahrnehmung der Seelsorge in den Justizvollzugseinrichtungen in Schleswig-Holstein Ausdruck der Gestaltung in diesem kooperativen Sinne.
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§ 1

( 1 ) Die Seelsorge in den Justizvollzugseinrichtungen bildet einen Teil der den Kirchen obliegenden allgemeinen Seelsorge.
( 2 ) Die Seelsorge in den Justizvollzugseinrichtungen wird durch Pastorinnen und Pastoren sowie andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem besonderen Auftrag zur Seelsorge im Hauptamt – im folgenden Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger genannt – wahrgenommen.
( 3 ) Die Unabhängigkeit der Verkündigung sowie das Beichtgeheimnis und die seelsorgliche Schweigepflicht werden gewährleistet. Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger nehmen die Aufgaben nach § 4 wahr und sind in ihrer Ausübung von Verkündigung und seelsorglicher Tätigkeit frei und an Weisungen nicht gebunden. Sie haben die Unverbrüchlichkeit des Beichtgeheimnisses und die seelsorgliche Schweigepflicht zu wahren.
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§ 2

( 1 ) Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger werden von der Nordkirche im Einvernehmen mit dem Land berufen. Vor ihrem erstmaligen Einsatz erfolgt durch das Land eine Sicherheitsüberprüfung zur Gewährung des unmittelbaren Zugangs zu Gefangenen.
( 2 ) Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger stehen im Dienst der Nordkirche. Sie unterstehen entsprechend dem Pfarrdienstrecht bzw. dem kirchlichen Arbeitsrecht der Aufsicht der Nordkirche.
( 3 ) Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger haben bei der Ausübung ihres Dienstes die Bestimmungen des Justizvollzugs zu beachten.
( 4 ) Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger arbeiten in ihrem Dienst mit den Vollzugsbediensteten eigenverantwortlich zusammen. Sie haben das Recht, an den Dienstbesprechungen teilzunehmen, und sind bei allen seelsorgliche und kirchliche Belange berührenden Maßnahmen der Anstalt sowie entsprechend §§ 67 und 89 Landesstrafvollzugsgesetz (LStVollzG SH) vorher zu hören, soweit die Ordnung und Sicherheit der Anstalt dem nicht entgegensteht.
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§ 3

( 1 ) Den Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorgern werden die Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach § 4, die Inanspruchnahme aller Einrichtungen und die Veranlassung organisatorischer Maßnahmen, die für ihren Dienst geeignet und erforderlich sind, ermöglicht.
( 2 ) Den Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorgern werden hierzu Räume, die für die Ausübung des Dienstes notwendig sind, insbesondere für den Gottesdienst sowie Dienstzimmer, vom Land zur Verfügung gestellt und unterhalten.
( 3 ) Die Planung, Gestaltung und Einrichtung von Gottesdiensträumen in einer Justizvollzugsanstalt erfolgt durch die Anstaltsleitung im Einvernehmen mit der Gefängnisseelsorgerin bzw. dem Gefängnisseelsorger, wobei die Kirche insbesondere zur geistlich-liturgischen Ausgestaltung und Einrichtung beiträgt.
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§ 4

Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger nehmen ihren seelsorglichen Auftrag in den Justizvollzugseinrichtungen wahr, wie im LStVollzG SH sowie in Abschnitt 7 Justizvollzugsdatenschutzgesetz beschrieben. Sie haben insbesondere folgende Aufgaben:
  • Abhaltung regelmäßiger Gottesdienste;
  • Einzelseelsorge einschließlich der Haftraumbesuche und Aussprache mit den einzelnen Gefangenen;
  • Vollzug der Beichte und Spendung der Sakramente;
  • Durchführung kirchlicher Kasualhandlungen;
  • Angebot von Gruppenarbeit, Kursen und Unterweisungsstunden;
  • Beteiligung bei Besuchen und Begleitung bei Ausführung von Gefangenen in seelsorglich begründeten Fällen;
  • besondere Krankenseelsorge bei Krankheitsfällen innerhalb der Justizvollzugsanstalt;
  • seelsorgliche Beratung und seelsorglicher Beistand, auch für die Angehörigen der Gefangenen in Partnerschafts-, Ehe- und Familienangelegenheiten;
  • Mitwirkung bei der sozialen Hilfe für die Gefangenen und ihre Familien;
  • beratende Mitwirkung bei der Anschaffung von Büchern und Medien für die Gefangenenbücherei und einvernehmliche Mitwirkung bei der Anschaffung und Ausgabe religiöser Bücher und Schriften;
  • Angebot der Seelsorge an Mitarbeitende des Justizvollzugs, unbeschadet der Zuständigkeit der Gemeindepastorin bzw. des Gemeindepastors;
  • Mitwirkung bei der Fortbildung der Mitarbeitenden im Justizvollzug;
  • Mitwirkung bei besonderen Anlässen und Ereignissen in der Anstalt;
  • Mitwirkung bei der Öffentlichkeitsarbeit in Gesellschaft und Kirche.
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§ 5

( 1 ) Urlaubsgewährung und Dienstbefreiung der Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger richten sich nach den dienstrechtlichen bzw. arbeitsrechtlichen Bestimmungen der Nordkirche.
( 2 ) Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger nehmen an Fortbildungen des Landes wie der Kirche, die ihren Dienst betreffen, teil. Sie haben das Recht, Supervision in Anspruch zu nehmen sowie an kirchlichen Veranstaltungen, Kursen und Tagungen, die ihren Dienst betreffen, in angemessenem Umfang teilzunehmen.
( 3 ) Die Vertretung bei Abwesenheit und die Urlaubsvertretung regeln die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger in Abstimmung mit der dienstvorgesetzten Stelle der Nordkirche im Einvernehmen mit der Anstaltsleitung. Krankheits- und andere Vertretungen regelt die Nordkirche im Einvernehmen mit der Anstaltsleitung.
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§ 6

( 1 ) Das Land erstattet die Personalkosten für drei Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger.Der Erstattungsbetrag je Vollzeitkraft richtet sich nach der jeweils aktuellen Personalkostentabelle für die Landesverwaltung Schleswig-Holstein. Anzusetzen ist der Jahreswert ohne Personalgemeinkosten der jeweiligen Besoldungsgruppe bis A 14 der Laufbahngruppe 2, 2. Einstiegsamt bzw. Entgeltgruppe bis E 14. Es gilt die Besoldungsgruppe bzw. Entgeltgruppe, in die die jeweilige Gefängnisseelsorgerin bzw. der jeweilige Gefängnisseelsorger nach dem Recht der Nordkirche eingereiht bzw. eingruppiert ist. Die Nordkirche informiert das Land umgehend über die Besoldungsgruppe bzw. Entgeltgruppe der jeweiligen Gefängnisseelsorgerin bzw. des jeweiligen Gefängnisseelsorgers bei der Aufnahme des Dienstes sowie bei Änderungen der Einreihung bzw. Eingruppierung. Für Teilzeitbeschäftigte sind die Werte entsprechend anzusetzen.
( 2 ) Der Erstattungsbetrag wird in monatlichen Raten jeweils zum Monatsende an die von der Nordkirche genannte Kasse gezahlt.
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§ 7

( 1 ) Die Gefängnisseelsorgerinnen und Gefängnisseelsorger haben das Recht, über den kirchlichen Dienstweg Beschwerde beim Land einzulegen, wenn Konflikte in der Zusammenarbeit mit der Anstaltsleitung auftreten, die nicht anderweitig behoben werden können.
( 2 ) Das Land wird Beschwerden der Anstaltsleitung über die Tätigkeit der Gefängnisseelsorgerin bzw. des Gefängnisseelsorgers alsbald an die Nordkirche weiterleiten. Die Nordkirche und das Land bemühen sich im Gespräch mit der Gefängnisseelsorgerin bzw. dem Gefängnisseelsorger, die Angelegenheiten zu klären. Das Ergebnis wird in einem Protokoll festgehalten.
( 3 ) Liegen Tatsachen vor, aus denen sich gegen die Person oder die Tätigkeit der Gefängnisseelsorgerin bzw. des Gefängnisseelsorgers schwerwiegende Bedenken gegen ihren bzw. seinen weiteren Dienst in der Gefängnisseelsorge ergeben und können diese nicht einvernehmlich zwischen dem Land, der Nordkirche und der Gefängnisseelsorgerin bzw. dem Gefängnisseelsorger ausgeräumt werden, so kann das Land nach entsprechender Anhörung der Gefängnisseelsorgerin bzw. des Gefängnisseelsorgers bei der Nordkirche ihre bzw. seine Abberufung verlangen. Daraufhin sorgt die Nordkirche für eine Klärung des Sachverhalts und entweder im Einvernehmen mit dem Land für Voraussetzungen zur Fortführung des Dienstes oder für die Beendigung des Dienstes in der Gefängnisseelsorge.
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§ 8

Die Vereinbarungspartner sind bestrebt, etwa auftretende Schwierigkeiten in der Auslegung und Durchführung dieser Vereinbarung im Sinne des Staatskirchenvertrags konstruktiv und einvernehmlich zu beheben.
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§ 9

Diese Vereinbarung tritt am 1. November 2019 in Kraft und wird in den Amtsblättern der Vereinbarungspartner bekannt gegeben. Sie kann von jeder Seite mit einer Frist von drei Monaten zum Jahresende zum übernächsten Kalenderjahr gekündigt werden.
Kiel, 1. November 2019
Gothart Magaard
Stellvertretender Vorsitzender der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Ministerin für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein
Bettina Hansen
Mitglied der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, Pastorin